Montag, 22. April 2013

Männer ohne Nudeln

"Was ist denn Dein Lieblingsessen" will ich wissen. Ein unverfängliches Datingthema und gleichzeitig die Möglichkeit, den Kontakt zu vertiefen, Stichwort "Gemeinsam Kochen". Mein Gegenüber schweigt gequält. "Also ich liebe Spaghetti Bolognese" sage ich, meine es und finde, dass es ein sympathisches Licht auf mich wirft. Schließlich hätte ich auch sagen können, dass ich meistens Salat mit Thunfisch ohne Dressing esse.
"Ja" zögert der Mann, mit dem ich immerhin einen Abend verbringe "aber ich esse keine Kohlenhydrate, deshalb mag ich das nicht so".

Wo früher Brotkörbe vor dem Hauptgang leergefuttert wurden, wo Menschen sich allenfalls gerechtfertigt haben, wenn sie viel Fleisch aßen oder nur Gummibärchen hat ein neuer Feind die Bühne betreten. Das Kohlenhydrat. Klingt schon irgendwie fies. Ein Kohlenhydrat, vor allem ein weißes, verstopft die Zelle, setzt sich auf die Hüfte ja es ist gar so hinterlistig, dass es satt macht. Dass einige Freundinnen diese Nudelparanoia haben, war mir nicht unbekannt. Aber es trifft auch Männer. Das könnte ich als Effekt der Gleichberechtigung sehen und mich freuen. Lieber wäre es mir aber, wenn wir alle Nudeln essen dürften, bis sie uns aus den Ohren kommen.

Es wundert nicht, wenn Fußballkoryphäen wegen neu erstrahlender Haarpracht belächelt werden, und Altkanzler nicht zugeben dürfen, dass sie zu Poly Brilliant greifen. Männer müssen heute schön sein, aber es darf nicht auffallen. Sie müssen wie Frauen selbstverständlich keinen Hüftspeck haben, aber sie dürfen keine Diät machen. Sie essen keine Kohlenhydrate und erfahren eine doppelte Abwertung. Der Druck auf Frauen, gut, jung und schlank auszusehen, ist seit Jahrhunderten Maßstab ihrer Schlechterstellung im Patriarchat. Wenn Männer auf sich achten, werden sie (ab einem bestimmten Grad) als "Mädchen" bezeichnet. Höchste Zeit für den solidarischen Aufstand und Nudeln für alle. 

Freitag, 12. April 2013

Why I don't need to go to India

Reblogged via Humans of New York:
"You don't need to got India to escape materialism. If you want to escape materialism, quit being materialistic."
http://www.humansofnewyork.com/

Dienstag, 9. April 2013

Sinn machen

"Vielleicht stärkt Dich diese schwere Zeit"
"Ich wünsche Dir viel Kraft"

Wenn ich zusammenzählen würde, wer mir in den letzten 72 Stunden wieviel Kraft und Stärke gewünscht hätte, sähe ich aus wie Popeye. Aber ich bin nicht stark. Ich bin auch nicht schwach. Ich bin traurig. Wenn das Schicksal aus der Kulisse springt, Dir kräftig ins Gesicht schlägt, dann ist Trauer genau das Gefühl, das angemessen ist.

"Alles hat einen Sinn".

Wird dann auch gerne gesagt. Nein will ich brüllen. Ein Scheißsinn ist das, wenn einer stirbt. Was soll denn daran sinnvoll sein? Der Sinn ist mir egal. Und ich verbitte mir, dass irgendjemand sich anmaßt, mir, meiner Trauer Sinn zuzuschreiben. Die das sagen wollen für sich einen Sinn sehen. Sie bauen Sinn aus Dingen, die einfach passiert sind. Die vor allem Kontingenz zuzuschreiben sind. Dann wird irgendein Rest Sinn vom Boden aufgeklaubt und zu einem Gebäude gemacht, das ergeben soll, dass ich jetzt stärker bin. Ich bin nicht stark. Ich will es auch nicht sein und ich will nicht dafür herhalten, dass irgendjemand aus mir einen Sinn schnitzt.

Mittwoch, 3. April 2013

gefühlte Wahrheit

Über ein Jahr ist es her und trotzdem ist es heute wieder passiert. Ich stehe am U-Bahnhof Fraunhofer Straße und er steht mit dem Rücken zu mir. Anderes Ende des Bahnsteigs. Gleicher Mantel, gleiche Tasche, hochgezogene Schultern, schmal. Ich kriege Herzklopfen, sehe weg. Die Gedanken fliegen: hingehen? Hallo sagen? Wegsehen? Warten bis er einsteigt? Beherzter Sprung hinter die gelb gekachelte Säule? Ist er allein? Wo kommt er her?

Ich sehe nochmal hin. Er hat sich umgedreht. Trägt einen Bart und hat keine Brille. Seine Nase ist anders und alles. Eigentlich ist er gar nicht schmal und der Mantel ist aus Wolle. Die Bahn fährt ein. Ich überlege, ob das ewig so weitergehen wird. Warum ich noch immer nach ihm suche.

Einerseits gibt mir dieser Schock jedes Mal das Gefühl, dass er der einzig Richtige war. Ich kann mich in der Angst ergehen, niemanden mehr zu finden und gleichzeitig in der romantischen Vorstellung, einmal die große, unerfüllte Liebe gefunden zu haben. Ohne die gäbe es immerhin keine Popmusik. Purple Rain wäre nie geschrieben worden. Andererseits scheint mir, dass diese Umklammerung der einzigen Wahrheit auch der einzige Weg ist, die Ungewissheit drumherum auszuhalten. Die Sinnlosigkeit der Aufrisse, die Verletzungen von Scheißtypen (Entschuldigung, aber die gibt es wirklich). Solange ich mich daran festhalten kann, dass es den Einen gab, der anders war kann ich weitermachen.

Wenn ich aber ganz ehrlich bin, hat genau der Eine mich mehr verletzt als 20 Scheißtypen es könnten. Was ist also wahr an dieser einen Wahrheit?