Freitag, 28. November 2014

blurred lines II: vom Schrecken der Ebene

Dieser Beitrag ist nicht lustig. Eine Kollegin schickte mir einen Link zu einem ziemlich guten Kommentar in der Zeit, wo der Autor Robin Detje die fast harmlos-süffisanten Kommentare der "alten Männer" in den nahen Zusammenhang mit antifeministischer Hetze bringt. Ein Zusammenhang, der mir bislang noch nicht so deutlich vor Augen war: Die zunächst harmlosen Hinweise der (in der Tat männlichen) vergleichsweise erfolgreichen Autoren gegen junge feministische (meist weibliche) Autorinnen bereiten den Boden für diejenigen, denen der ganze "Gender-Quatsch" schon lange ein Dorn im Auge ist. Detje weist auf einen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung von Antonia Baum hin, die die Debatte um die genderneutrale Ansprache von Professx Lann Hornsscheidt in den sozialen Medien aufarbeitet und kommentiert. Neugierig habe auch ich die Kommentare (bei facebook) durchgelesen und Angst bekommen.

Ich habe die antifeministischen Aggressionen, präziser: die Aggressionen gegen Befunde und Veränderungsbemühungen der Geschlechterforschung (Gender-Studies) bislang für kleine Ausreißer nach unten gehalten. Ich dachte, ein paar Menschen, die es einfach noch nicht verstanden haben, verkämpfen sich in patriarchalen Rückzugsgefechten und disqualifzieren sich damit selbst. Liest man die Kommentare auf der facebook-Seite von Ulf Poschardt, Journalist für "Die Welt" stellt sich heraus: es ist eine breite Ebene von Männern und Frauen, die bei einer Andeutung, es gäbe vielleicht mehr als ein binäres (und übrigens patriarchales) Geschlechterverhältnis, bei jedem Verschwimmen der Grenzen zwischen den Männern und den Frauen, in außergewöhnlich aggressiver Weise reagieren. Ich vermute, dass die "Freunde" von Ulf Poschardt nicht alle reaktionäre, uninformierte Hater sind. Ich vermute, sie sind Menschen, mit denen ich vielleicht auch befreundet (im facebook-Sinne) sein könnte. Das erschreckt mich. Und ich danke Frau Baum, dass sie das alles durchgelesen hat. Ich habe nach Kommentar 50 aufgehört.

Montag, 24. November 2014

Freiheit für Helene Fischer oder: blurred lines

Aus hier nicht näher zu erläuternden Gründen musste ich über Helene Fischer nachdenken und bin damit nicht allein. Neben ihrem offenbar sehr umfassenden Erfolg, der sich aus musikalischen Erzeugnissen, Werbeeinnahmen und allerlei sonstigem speist, ist sie nicht selten Objekt von Spott und Häme, unter anderem von den Herren Böhmermann und Schulz in ihrer sonntäglichen Radiosendung "sanft und sorgfältig". Als ich also über Helene Fischer nachdachte, die übrigens einen Migrationshintergrund hat, wollte ich diese junge Frau verteidigen, denn sie ist ja eine Frau und daher, fand ich, ist das ja auch irgendwie fast sexistisch, wenn Böhmermann und sein Kollege sich lustig machen. Bevor ich aber mit einem großen Banner "Freiheit für Helene Fischer" vor das Gebäude von Radio 1 ging, dachte ich mir: schwierig. Die Frau Fischer macht mit den bürgerlichsten Stereotypen ihr Geld und Olli Schulz kennt sie vermutlich gar nicht. Es ist also nicht nötig, für sie Partei zu ergreifen, zumal es genug andere gibt, die es tun. Helene Fischer ist weiß, jung, weiblich, reich und hat kein Problem, für das ich politisch einstehen müsste. Und ich wollte auch gar nicht auf sie hinaus sondern zurück zum Feminismus oder der Bekämpfung desselben durch antifeministische Bewegungen (wenn es denn Bewegungen sind oder doch einfach nur mangelnde Einsicht).

In der FAZ, namentlich Organ der bürgerlich-konservativen Verbreitung von Inhalten oder vielleicht von Allgemeinerungen, denn das steht auch im Namen, wird mit unermüdlicher Konstanz antifeministischer Text verbreitet. Allein das wäre nicht der Erwähnung wert, denn was will ich sonst erwarten von den alten FAZ-Herren, dachte ich, bis dieser Text unter einigen meiner facebook-"Freunden" Zustimmung fand (zur Frage des Umgangs mit doofen Links von offenbar doofen Freunden ein anderes Mal). Eine Friederike Haupt schrieb über Sexismus mit einer eher wirren Argumentation (ähnlich wie hier, wo ich von Helene Fischer zu Sexismus komme) und schließt mit der Einsicht: "So einfach ist die Welt eben nicht gestrickt (Pardon), dass alles Schlechte, was Frauen passiert, an ihrem Frausein liegt."

Äh ja. Das hat eigentlich niemand behauptet, zumindest keine Feministin, die ich kenne. Wenn überhaupt etwas auf Sexismus zurückgeführt wird, dann liegt das nicht am Frausein sondern am Geschlechterverhältnis. Aber auch das müsste eigentlich klar sein. Auch Frau Haupt, die ist nämlich gar nicht blöd, sondern jung und weiblich und Akademikerin (nehme ich an) und ich habe den Text mehrfach gelesen, weil ich dachte, vielleicht sagt die Frau ja doch irgendwas Sinnvolles. Es gibt ein Buch von Ariel Levy von 2005, das sich "female chauvinist pigs" nennt. In diesem unterhaltsamen, verärgernden, interessanten und blitzgescheit aufgearbeiteten Buch beschreibt die Autorin, wie Frauen (insbesondere in den Medien) antifeministische Kulturen unterstützen und sogar befördern, weil es ihre Möglichkeit ist, den eigenen Erfolg zu sichern. Levy schreibt auch, wie sich diese Bilder auf Alltagspraxen junger Frauen auswirken. Ich möchte Frau Haupt nicht als Chauvinistin bezeichnen, dazu kenne ich zu wenig Texte und bin nicht willens, mich in diese Materie zu vertiefen. Aber ich möchte festhalten, dass Antifeminismus oder die seit einiger Zeit aufkochende Debatte um "Genderism" nicht von Männern gemacht wird (weil, liebe Frau Haupt, genausowenig alles Schlechte von Männern kommt). Die Vervielfältigung von Geschlechterverhältnissen bringt schwimmende Linien zum Vorschein, sie führt dazu, dass nicht alle Frauen Feministinnen sind, aber ein paar Männer Feministen. Und dass ich naiv einen wirren Text mehrfach lese, weil er von einer Frau geschrieben wurde. Und dass ich künftig auf der Hut bin, wenn Texte in der Faz in die Kategorie Sexismus einsortiert werden.