Samstag, 17. Dezember 2016

wer teuer kauft...

Ich sitze in einer Bar und sehe ein Auto ankommen. Es steigt eine junge Frau auf Sandaletten-artigen Stilettos aus (es ist Dezember) und betritt den Raum. Sie ist offenbar mit mehreren Menschen befreundet, die nun ausgiebig begrüßt werden:

"Hey, hast Du eine neue Jacke? Sieht gut aus" bemerkt einer.
"Ja, Du ich dachte einfach: Ich will NIE WIEDER FRIEREN" sagt sie und streicht selig über das Fell des Kragens, um gleich darauf ihren mit Daunen wattierten Rumpf zu umarmen und damit die Jacke enger um ihren zarten Leib zu ziehen. Ich denke, dass gegebenenfalls gutes Schuhwerk auch einen Teil zum Abwehren sibirscher Kälte beitragen könnte und fühle mich an Scarlett O' Hara erinnert, wie sie eine gammelige Möhre zum Sonnenuntergangs-roten Himmel reckt und ruft: ICH WILL NIE WIEDER HUNGERN. Es wäre nun müßig, zu erklären, dass die 600-Euro-teure Winterjacke und das Versprechen, in einer Großstadt sowie in einem Oberklassewagen nie wieder zu frieren, auf dem Rücken (genauer der Brust) diverser Enten und Gänse sowie dem Fell eines inzwischen vermutlich toten Hundes erkauft wurde. Wichtig ist ja offenbar, dass die Investition in selbige Jacke mit scheinbar rationalen Argumenten legitimiert wird. 

"Das ist aber eine edle Tasche", sage ich der Kollegin. Das Äußere ist durch die ständige Wiederholung zweier Buchstaben (L und V) gekennzeichnet und weist damit auf den Wert des Produkts hin. "Ach weißt Du, ich habe die eigentlich nur gekauft, weil sie soooo praktisch ist: sie hat zwei Henkel!" Das Gespräch setzt sich fort und ich versuche scheinheilig die Überraschung über die hohe Funktionalität der Tasche mit zwei (!) Henkeln aufrecht zu erhalten, denn ich versuche ja oft nett zu sein. 

Spätestens jetzt muss offensichtlich sein, dass ich mich dem Sog der teuren Taschen nicht ganz entziehen kann, denn auch zu einer anderen Bekannten sage ich, dass sie ja eine sehr hübsche Tasche trägt: Das Modell ist auch im vierstelligen Euro-Bereich angesiedelt und schmückt die Trägerin. Gleichzeitig gibt sie deutliche Hinweise auf die soziale Schichtzugehörigkeit. "Ach" antwortet sie nachlässig "ich habe einfach festgestellt, dass ich bei Schuhen und Taschen investieren muss. Wer billig kauft, kauft schließlich zweimal." Ich rechne kurz nach, wie viele Taschen ich auch im mittleren Preissegment für eines dieser Exemplare erwerben könnte und zweifle an den kalkulatorischen Fähigkeiten meines Gegenübers.

Ich lasse mir (in einem akuten Anfall von autoagressiven Ageism) eine Creme vorführen, deren Wirkung nicht nur mit Leuchtkraft, Straffung und Aufpolsterung beschrieben wird sondern deren betörender Duft und wertiges Schälchen gleich ein grundsätzlich positives Gefühl verleiht. Und positive Gefühle lassen mich jünger wirken, das ist ja klar. Als mir der dreistellige Betrag dann doch ein etwas zu hoher Preis für dieses Tiegelchen erscheint, blinzelt mich die gut zwei Jahrzehnte jüngere Verkäuferin an: "Aber es ist ja für IHRE HAUT. Ich meine, da spart man doch lieber an der Mascara und investiert in SICH." Hm, denke ich. Meine Mascara ist nicht wirklich teuer. Das traue ich mich aber nicht zu sagen. Deshalb bedanke ich mich sehr sehr freundlich für diesen Hinweis. 

Ich gehe faltig und mit billiger Mascara nach Hause und streichele die Katze. Sie schlägt vor, dass ich mir sie lebendig um den Hals legen kann. Das erscheint mir zu riskant, daher kraule ich sie nur und höre ihrem Schnurren zu. Das macht mich glücklich. Ohne Buchstaben und Henkel.  

Donnerstag, 1. Dezember 2016

Gut genug ist genau das

"Die Patientin leidet an einem überhöhten Selbstanspruch und Perfektionismus" lässt mich eine Freundin in ihrem Befundbericht lesen. Sie war in einem Krankenhaus, eigentlich wegen Rückenschmerzen. Unterwegs wurde sie gleich von einer Psychologin untersucht, die genau das schrieb. Daran leidet sie also. Und sie solle sich klarmachen, das "gut" gut genug sei.

Garance Doré (Mode- und Lifestylebloggerin) schrieb kürzlich, wie ihr das Rauchen eines Joints beim Stressabbau half und sie dadurch zum coolest girl wurde. Dann hat sie noch Cannabis-Schokolade gegessen und dann habe ich nicht weitergelesen. Frau Doré, da bin ich sicher, hat einen volleren Terminplan als ich und bestimmt auch einen hohen Anspruch an ihre Leistung. Meine Freundin auch. Und alle anderen Frauen, die ich kenne, auch. Das gilt besonders für alle Wissenschaftlerinnen, die ich kenne. Wir alle haben Selbstzweifel, versuchen die perfektesten Texte abzuliefern, die beste Forschung zu betreiben. Die meisten hauen sich Nächte um die Ohren, um Deadlines zu halten. Kein einzige von ihnen ist entspannt und sagt "ach, der Text, das ist schon okay so". Wir leiden also, um die Psychologin zu referieren, wahrscheinlich alle an einem überhöhten Selbstanspruch.

Dann schreiben 'Lifestyle-Expertinnen', wie die oben genannte, man möge doch einfach einen Joint rauchen, um runterzukommen. Und um, da fängt die eigentliche Überhöhung an, auch noch "The coolest Girl [sic! - Frau Doré ist inzwischen auch 40] in the Neighbourhood" zu werden.

Alternativ steht in jedem mittelmäßigen Frauenmagazin zurzeit, wie man "stressfrei durch die Weihnachtszeit" kommt und entsprechende "easy Plätzchen" oder "Do it yourself" Geschenke bereitet oder eben, denn das gehört ja auch dazu: "Durch die Feiertage ohne Zusatzpfunde" kommt. Zusammengefasst hieße das: ich backe stressfreie Plätzchen, bastele easy Geschenke, hüpfe zwischendurch mit High Intensity durchs Wohnzimmer, gebe meine wissenschaftlichen Texte ins Review und rauche einen Joint. Oder zwei, damit ich dabei cool aussehe. "Gut ist gut genug" soll sich das "coole Mädchen" dann sagen und ihre Deadlines einhalten und dabei entspannt wirken. Und was für ihren Rücken tun (nach dem Plätzchen Backen und Basteln).

Stress ist Stress. Wissenschaft ist oft stressig. Gut ist oft nicht ausreichend. Dabei cool wirken hilft nix. MicDrop.